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Reading Rämistrasse #141: Samantha Grob zu Wolken Sammeln. Himmelsbeute auf Papier, Graphische Sammlung ETH Zürich - Akademie - Kunsthalle Zürich
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Reading Rämistrasse #141: Samantha Grob zu Wolken Sammeln. Himmelsbeute auf Papier, Graphische Sammlung ETH Zürich

Was sind Wolken? Was liegt in einer Wolke alles verborgen? Was verbindet die Wolke mit einem Blatt Papier oder sogar mit uns? Die Graphische Sammlung der ETH präsentiert in Zusammenarbeit mit dem digitalen Bildarchiv der ETH-Bibliothek die Ausstellung Wolken Sammeln. Himmelsbeute auf Papier. «Aus reiner Freude an den Formen und Farben der Wolkengebilde,» wie die Kuratorin Susanne Pollack preisgibt, wurden die Bildbestände nach Wolken durchforstet. Folglich entstand eine lyrische Ausstellung, von eingefangenen Luftbildern auf diversen Papiermedien von der Frühen Neuzeit bis ins Heute. Ebenso gefühlsselig, wie lehrreich, bringt die flüchtige Wolkenschau geheimnisvolle Botschaften ans Licht, inmitten deren das Tanzen von Grashalmen und Blöken von Schafen zu vernehmen ist.

Wolken Sammeln. Himmelsbeute auf Papier, Graphische Sammlung ETH Zürich, 2023

Aufgebaut wie ein kunsthistorischer Parcours, wurden Wolken selektioniert, die auf die eine oder andere Weise ihren Weg auf Papier fanden, sei es mittels Druckgrafik, Fotografie oder Zeichnung. Lobenswert ist, wie anhand unterschiedlicher Beschaffenheiten des Wolkenmotivs vermittelt wird, wie sich die einzelnen Druckverfahren über die vergangenen Jahrhunderte verändert haben. Mithilfe von QR-Codes gelangt man, bei Interesse, auf weiterführende Erklärungen, die die einzelnen Entwicklungen erläutern. Darüber hinaus wird ersichtlich, welch gestalterische Schwierigkeiten sich auftun beim Abbilden von Wolken, da sie in unbeständiger Form flüchtig mit den Winden davonziehen.

Doch im Flüchtigkeitszauber drängt sich zunehmend eine andere Frage ins Bewusstsein: Sehen Sie die Wolke, die im Papier schwebt? Augenscheinlich schweben die Wolken nicht nur über, sondern im Papier. Denn ohne die Wolke gibt es keinen Regen. Ohne Regen können keine Bäume wachsen und ohne Bäume kann kein Papier hergestellt werden. Für die Existenz des Papiers ist die Wolke unabdingbar. Wenn die Wolke nicht ist, kann auch das Blatt Papier nicht sein. Die Wolke und das Papier durchdringen und bedingen sich. Bei eingehender Betrachtung eines Papierbogens kann man sogar den Sonnenschein darin riechen. Ohne Sonnenschein kann der Baum nicht wachsen. Der Sonnenschein und das Papier durchdringen und bedingen sich.

Wenn wir noch etwas tiefer eindringen, lässt sich auch der Holzfäller im Papierbogen ausmachen. Der dumpfe Knall des gefällten Baumes lässt sich darin vernehmen. Das Schleifen des Baumstammes über den Erdboden und das mechanische Knarren des Traktors, der den Baum zur Mühle fährt, um ihn zu Papier zu verarbeiten, hallt in der Ferne. Darin funkelt auch der Weizen, der unter der satten Sonne zu goldigen Bögen gedeiht. Der Weizen, der später gemahlen und zu des Holzfällers Brot wird, ohne welches er nicht überleben könnte. Der Holzfäller und das Papier durchdringen und bedingen sich.

Die Vergänglichkeit, die durch die Kunstwerke schimmert, rückt zugleich die Möglichkeiten des Allumfassenden ins Bewusstsein. Es lässt sich vernehmen, dass die Wolke Papier und Papier Wolke ist. Wir können uns darin selbst erkennen, ebenso wie das Du und das Ich. Jeder Papierbogen, jede Wolke ist zusammengesetzt aus Erde, Wasser, Sonne, Mineralien, Hitze, Kälte, Freude und Traurigkeit. Alles existiert zugleich. Alles ist, weil alles andere ist. Die Wolke ist, weil alles andere ist. Alles durchdringt und bedingt sich.

Georges Wenger, Evening Clouds, 2023

Courtesy the Artist and ProLitteris

Geradewegs verträumt, doch auch subversiv, wird man aufgefordert, den Blick vom Gewohnten abzuwenden und hinauf in die Himmelsphäre zu richten. Die Ausstellung formt eine Einladung, die Gedanken dem Wind auszusetzen und mit den Wolken zu wanken. Dabei haucht es ganz leise: Wie könnte sich das Leben auf Erden gestalten, wenn der menschliche Blick die Richtung ändern würde? Das Leben hierorts ist so dermassen organisiert und übersättigt, dass das Träumen in Vergessenheit gerät. Doch die Formen- und Farbenpracht der Luftbilder verdinglicht nicht nur die sanfte Schönheit alles Seienden, sondern zeichnet auch das ephemere Wesen aller irdischen Erscheinungen, Gefühle und Wünsche ab. Nichts existiert für sich allein, denn alles noch so Unscheinbare durchdringt und bedingt sich.

Wolken Sammeln. Himmelsbeute auf Papier, Graphische Sammlung ETH Zürich, 6. Dezember 2023–10. März 2024
Finissage 11.03.2024 mit Versteigerung der ausgestellten Fotodrucke aus dem Bildarchiv der ETH-Bibliothek

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